Das ist ja prima …

… facie. Haha. Den müden Montagmorgen Kalauer möge man mir ebenso verzeihen wie die unglaublich unnötigen Alliterationen.

Zunächst muss ich nämlich festhalten, dass ich nichts gegen Juristen habe. Ganz im Gegenteil: Ich mag Juristen sehr, insbesonders deren (bisweilen) recht schlüssige und (bisweilen) analytische Denkweise sowie ganz besonders ihren Humor, der vermutlich aus dem jahrelangen Zwang, auch die absurdesten Sachverhalte noch mit dem notwendigen Ernst zu betrachen, resultiert.

Allerdings muss ich die besagten Abmahn-“Anwälte” explizit davon ausschliessen. Aber das erwähnte ich ja schon.

Christophs Hinweis (danke!) hat den bis dahin von jeglicher Sachkenntnis freien Beitrag um einen sehr interessanten Aspekt erweitert:

Den Anscheinsbeweis

Bis eben wusste ich nicht einmal, dass es sowas gibt — wobei es nach kurzem Nachdenken äußerst logisch erscheint, einen solchen “Weichmacher” in ein Rechtssystem zu pflanzen und damit (mehr oder weniger) elegant ein Problem zu umschiffen, das so alt wie die Menschheit ist:

Die Suche nach dem Grund.

Die Frage nach der Kausalität.

Henne – Ei.

Apfel – Frau (oder so).

Ich habe mich also ein bisschen umgesehen dazu Folgendes gefunden:

§ 286 ZPO – Freie Beweiswürdigung: Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

Ditt is schoma juut, wa?

Ich denke, wir können ausschließen, dass wir es hier mit irgendeiner Form von Beweismittelbeschränkung zu tun haben. Und auch wenn es die Abmahn-“Anwälte” sicher gern hätten, aber bei deren dubiosen Ausdrucken auf (wahrscheinlich nichtmal chlorfrei gebleichtem) Papier handelt es sich ja nunmal nicht um Urkunden. Ein Tatbestand dürfte das auch nicht sein. Ha. Wär aber auch schön: “Tatbestand: Datei in Liste enthalten”. Fertich. So ist es aber glücklichweise nicht.

Das Gericht sollte also offenbar in der Urteilsbegründung an irgendeiner Stelle eine Formulierung wie “wir glauben, dass die schmierigen Kläger nicht gelogen haben, weil …” verwenden.

Ok, nach “eins drüber / eins drunter” wird’s dann auch erwartungsgemäß recht schnell recht wieder fies:

§ 287 ZPO – Schadensermittlung; Höhe der Forderung: Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen.

Soll wohl heissen: Wenn es jemand schafft, dem Gericht zu erklären, dass dieser dubiose Eintrag in der ebenso dubiosen Liste total dolle deutlich macht, dass da irgendwer Musik GEKLAUT hat, dann können die Jungs und Mädels (vor allem auch im Hinblick auf den für die Mittagspause reservierten Tisch beim Spanier an der Ecke) es einfach mal gut sein lassen und das dann auch so glauben. Eine Begründung, warum ihnen das total schlüssig erscheint, wird sich schon irgendwie finden. Offenbar KÖNNTEN sie jemanden fragen, der sich damit auskennt, müssen es aber nicht (Tisch beim Spanier und so …).

Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass das bisweilen recht frustrierend für alle Beteiligten sein kann. Gibt’s eigentlich irgendeine Art der Verpflichtung für unser Rechtspersonal (RichterInnen, StaatsanwältInnen und so), sich weiterzubilden?

Ehrlich gesagt stelle ich es mir ziemlich gruselig vor, prima-facie-Beweise in Online-/Internet-Fällen von jemandem würdigen zu lassen, der sein Studium zu einer Zeit abgeschlossen hat, als Heinz Nixdorf noch einen Studentenausweis in der Tasche hatte. “Was ist eine Datei? Da stellen wir uns mal ganz dumm und sagen: Eine Datei, das ist ein kleiner, weißer Zettel…”

Tatsächlich (und wenig überraschend) bin ich allerdings nicht der erste, dem dieses Dilemma auffällt.

Allein die Werke über das eigentlich zugrundeliegende Problem, den grundsätzlichen Nachweis einer Kausalität, füllen vermutlich halbe Bibliotheken. Ganz interessant sehen in diesem Zusammenhang übrigens die Überlegungen von Wolfgang Stegmüller aus, die er unter dem handlichen Titel: “Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. 1. Erklärung – Begründung – Kausalität, Teil D. Kausalitätsprobleme, Determinismus und Indeterminismus; Ursachen und Inus-Bedingungen; Probabilistische Theorie und Kausalität veröffentlicht hat. Dieses Heftchen hat es aus dem Stand auf meine “muss ich mal lesen” Liste geschafft (was bedauerlicherweise noch nicht sehr viel heisst, da es sich dabei um eine verdammt umfangreiche Liste handelt).

Darüberhinaus hielt auch Torsten Martini bereits 1998 in seiner Hausarbeit “Der prima-facie-Beweis – Eine kritische Betrachtung der Umsetzung höchstrichterlicher Anforderungen an den Anscheinsbeweis durch die Rechtsprechung der Instanzgerichte” fest:

Daß der Anscheinsbeweis nicht schon dann anwendbar ist, wenn von zwei nicht nur theoretisch denkbaran Kausalverläufen einer wahrscheinlicher ist als der andere, hat der BGH wiederholt klargestellt. Gleiches gilt für die Notwendigkeit, die tatsächlichen Grundlagen, die Gegenstand eine typisierten Erfahrungssatzes sein sollen, mit der nach § 287 ZPO erforderlichen Gewißheit festzustellen.

Damals ging es bspw.  um die Höhe von Telefonrechnungen und den “Beweis” der klagenden Telefongesellschaften in diesem Zusammenhang.

Es bleibt also spannend. Momentan überlege ich ja, ob man eine P2P Software nicht derart gestalten könnte, dass es nicht möglich ist, Informationen über andere Teilnehmer auszudrucken oder sonstwie zu sichern, ohne gleichzeitig  gegen § 95a Abs. 2 UrhG zu verstossen. Sollte doch machbar sein, oder? 😉

Für mich bleibt nach so einem kleinen Ausflug in die ebenso gut organisierte wie sonderbare Welt der Juristen in erster Linie die Verwunderung darüber, dass unsere Judikative hier anderen Entwicklungen beeindruckend hinterher hinkt:

Selbst handelsübliche Wirtschaftsprüfer sind um gleich mehrere Grössenordnungen mißtrauischer: Die Korrektheit von Zugangberechtigungen zu Finanzsystemen wird nicht (prima-facie) attestiert, ohne sie vorher überprüft zu haben. Anhand einer Verfahrensbeschreibung wird nicht automatisch angenommen, dass der Umgang mit Veränderungen an IT-Umgebungen schon irgendwie in Ordnung sein wird — da muss belegt werden, dass die verschiedenen Arbeitsschritte auch tatsächlich und tagtäglich so durchgeführt werden.

Und das Erstaunlichste: In diesen Fällen geht es nichtmal um “Recht” oder “Unrecht”, um “verurteilt” oder “unschuldig” sondern nur um ein paar Euros. Eh … Moment ….

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