Echte vs. gefühlte Blödheit

Henry Rollins

Jemand möchte jemand anderem seine Adresse per E-Mail mitteilen.

Ich habe keine wissenschaftliche Erhebung durchgeführt, aber die Informationsmenge einer durchschnittlichen Visitenkarte dürfte mit 300 Zeichen fair geschätzt sein. Der teure Karton, das schöne bunte Logo und die extravagante Schriftart bleiben dabei natürlich auf der Strecke. Aber es geht ja im Moment auch nur um die Adresse.

Man könnte also einfach die Adresse abtippen und die E-Mail (ganz oldschool plain text!) verschicken.

Man könnte aber auch folgendes machen:

  • die Visitenkarte auf einen Scanner legen
  • die gesamte Fläche scannen (nur DIN A4, rückblickend noch Glück gehabt!)
  • die Datei als adresse.ufo abspeichern
  • diese Datei per E-Mail verschicken

An der Stelle sind wir bei 5 MB. Eigentlich mehr, aber das bisschen uuencode overhead vernachlässigen wir einfach mal.

Der Empfänger ist nun erstmal gezwungen herauszufinden, was man mit so einem ufo überhaupt macht. OK, das geht noch. Danach muss er sich sich die Testversion von “Ulead PhotoImpact” (das ist irgendeine hochgradig proprietäre Bildbearbeitungssoftware) herunterladen (96 MB), die dann installiert 252 MB (!) auf der Festplatte belegt. Anschliessend nur noch die “Visitenkarte” öffnen, ausschneiden und als JPEG speichern: 25 KB. Ulead Photodings Krempel wieder deinstallieren und über die in der Windows Registry verbleibenden Reste gar nicht weiter nachdenken.

Rechnet man das zusammen, dann kommt man auf knapp 368 MB beteiligter Daten auf der einen vs. 300 Byte auf der anderen Seite. Also: “367.551.488 : 300”

Boshafterweise könnte man fragen: “Wieviele Münchner braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?”

Antwort: Alle.

(Ok, die Münchner haben damit diesmal rein gar nichts zu tun, aber das Verhältnis passte so schön. Übrigens hat Henry Rollins auch nichts damit zu tun, aber einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatte ich sicher auch.)

Ich hab’ mich also über “so viel Blödheit” aufgeregt (und dass es das gar nicht geben kann. Eigentlich. Und so weiter. Das volle Programm eben.) und habe dann zu hören bekommen:

“Naja, aber vielleicht kennt er sich nicht mit Computern aus?”

Ich höre das ziemlich oft. Und meistens geht das ziemlich am Thema vorbei.

Irgendjemand denkt nichtmal ansatzweise nach. Veranstaltet irgendeinen totalen Schwachsinn. Und sagt dann:

“Naja, ich kenn’ mich nicht mit Computern aus.”

Ich hab’ keine Ahnung, woran das liegt. Sobald ein Computer (oder ein ähnlich technisches Gerät) im Spiel ist, schalten manche Leute den so häufig zitierten “gesunden Menschenverstand” komplett und vollständig aus.

“Ah, schön Sie zu sehen. Wie war gleich Ihr Name?”

“Ah Moment. Ich meissele meinen Namen schnell in eine Betonplatte, mache davon einen Gipsabguss und schicke Ihnen den per Kurier. OK?”

“….”

Schaf mit HutIch bin nicht für eine generelle Blödheitsstrafe. Wenn jemand “intellektuell gefordert” ist … kein Problem. Wenn mich Blödheit wirklich so richtig aufregt, dann ist es nie die Blödheit wirklich dummer Menschen.

Aber einige (ansonsten ganz normale) Mitmenschen fallen in Gegenwart eines Computers schlagartig auf das intellektuelle Niveau eines Schafes zurück. Ich halte das für Faulheit.

Ich bin ganz entschieden dafür, solche Menschen mit drastischen Strafen für Blödheit in Tateinheit mit Faulheit und Denkverweigerung zu belegen. Zu verhängen bei Vergehen, bei denen jemand einfach nicht nachdenken will — und das dann entschuldigt mit:

“Naja, ich kenn’ mich nicht mit Computern aus.”

Ist ja irgendwie auch bequemer.

“Scheiss Computer. Das geht nicht.”
“Warum? Was passiert denn?”
“Keine Ahnung. Fehlermeldung.”
“Aha. Und was steht in der Fehlermeldung?”
“Keine Ahnung, hab ich weggemacht.”
“?!?!?”
“Naja, ich kenn’ mich nicht mit Computern aus.”

Die Hotlines sind voll davon. Aber die Leute werden wenigstens dafür bezahlt, sich mit “gefühlt Blöden” abzugeben.

3 thoughts to “Echte vs. gefühlte Blödheit”

  1. “Keine Ahnung, hab ich weggemacht.” ist auch nur eine andere Schreibweise für “Allgemeine Schutzverletzung an Modul 0E Adresse f8a8394d89f8934980f.”

  2. Bisweilen, ja.

    Andererseits aber auch oft sowas wie: “Wenn Sie die Datei im Format wasauchimmer speichern, lösen Sie damit ggf. Wutanfälle bei anderen Nutzern aus, die daraufhin das Leben ihrer Familie, ihrer Freunde, der Inhaber der Läden in denen Sie einkaufen und der Leute, denen Sie Geld schulden bedrohen werden. Trotzdem speichern?”

    “Keine Ahnung. Hab’ mal auf OK geklickt. Ich kenn’ mich nicht mit Computern aus.”

  3. Das erinnert mich an eine Geschichte, die ein befreundeter Informatiker gerne erzählt und die ihm in den Anfangszeiten der PCs geschah:
    Er telefonierte mit einer Sekretärin und sagte “Ich brauche unbedingt eine Kopie dieser Diskette”.

    Drei Tage später bekam er sie per Post. In einem Briefumschlag. Allerdings keine Diskette, sondern ein Blatt Papier. Die Dame hatte die Diskette auf den Kopierer gelegt und kopiert *argh*

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