Da platzt mir der Schädel!

Young man with a skull

Ist das eigentlich alles noch wahr? Haben wir echt keine anderen Probleme als ein paar Jungs, die mit ‘nem alten Schädel in der Wüste faxen machen?

Auf jeden Fall ist es ein grossartiger Sieg für die Betroffenheitsfraktion. Ich habe lange nicht mehr erlebt, dass unsere Politiker bei der Simulation der vermuteten Volksmeinung so dermassen übers Ziel hinausgeschossen sind.

Bei jedem gehörten oder gelesenen “Die Bilder erregen Abscheu und absolutes Unverständnis” (Die Welt), “solche Entartungen und Entgleisungen” (Süddeutsche.de) oder “abstoßend und Ekel erregend” (Spiegel Online) packt mich das spontane Bedürfnis, das verantwortliche Mediengerät unter Zuhilfenahme mechanischer Gewalteinwirkung dauerhaft abzuschalten.

Hat sich eigentlich mal jemand überlegt, warum die Jungs und Mädels da unten sind?

Um das nochmal kurz in Erinnerung zu rufen: In Afghanistan rennen ‘ne Menge Leute rum, die in der Vergangenheit von den USA grosszügig mit Waffen versorgt wurden, damit sie damit Russen umbringen können. Das fanden die USA damals ‘ne gute Idee, haben sich das dann aber anders überlegt. Ausserdem sind die Russen ja weg. Also heissen die Kunden von gestern nun “Radikal-Islamisten” und die NATO muss sie fangen. Oder töten. Oder beides:

Die Nato-Truppen in Afghanistan haben einen Großangriff auf die Taliban gestartet. Mindestens 38 Kämpfer der Radikal-Islamisten wurden dabei getötet. Eine afghanische Nachrichtenagentur meldete dagegen, es seien rund 90 Zivilisten ums Leben gekommen.

(Spiegel Online vom 25.10.2006)

Da fahren also diese deutschen Soldaten durch die Wüste. Vielleicht sind sie auf dem Rückweg vom Taliban umbringenTerroristen eliminieren. Sie sehen einen alten Schädel im Sand rumliegen.

(Zwischendurch muss man sich übrigens mal zusätzlich in Erinnerung rufen, dass es ja nunmal nicht unbedingt die akademische oder intellektuelle Elite ist, die sich für eine Karriere bei der deutschen Bundeswehr entscheidet. Ich halte es also für eher unwahrscheinlich, dass sie mit der Schädel-Performance auf die Vergänglichkeit des Lebens und die Unabwendbarkeit des Todes hinweisen wollten. Oder sowas. Übrigens finde ich die Bemerkung der National Gallery zu dem Frans Hals Werk interessant: “The Netherlandish tradition of showing young boys holding skulls is well-established”. Aha. Wusste ich nicht. Aber das alles nur mal so am Rande bemerkt.)

Da fahren sie also durch die Wüste und sehen den ollen Schädel ausgebleicht im Sand rumliegen. Bei den grossen Kindern dürfen sie ja nie so richtig mitspielen und daher freuen sie sich bestimmt, dass sie endlich mal so richtig was spannendes erleben. Ein krass voll echter Totenkopf!! Dann sagen vermutlich sowas wie:

“Woah, krass, Krawuttke, guck mal, ‘n Schädel!”

“Krass. Halt ma’ an, Oberhuber!”

“Krass. ‘n Schädel. Hehe. Kukkmal. Cool. Sieht voll echt aus!”

“Oy, krasses Teil. Hey, Krawuttke, machmerma Fotto, gää?”

“Oberhuber, watt meinste? Is datt ‘n Weiberschädel?”

“Haha. Geil, Du Sau, ‘n Schädel von ‘ner Talibanschnegge!”

… und so weiter — wir lassen das mal an dieser Stelle gut sein, bevor sich einer der beiden scheinbar unvermeidlicherweise die Wüstentarnhose aufknöpft ….

(ach übrigens, bevor jemand ausflippt: Die Namen hab’ ich mir nur so ausgedacht. Ehrlich.)

Natürlich ist das nicht nett, genaugenommen ist es sogar ziemlich dämlich, aber die sind ja auch nicht da unten, weil sie so unglaublich clever sind oder weil sie nett sind und im richtigen Leben in Chemnitz Mittagessen ausfahren, in einer Obdachlosenküche in Gelsenkirchen Decken verteilen oder alten Menschen in Bad Homburg auf die Bettpfanne helfen. Das machen die Zivis, liebe Politiker. Nicht die Soldaten.

(Tatsächlich glaube ich, dass Jungs wie die Schädel-Poser im richtigen Leben nach Dienstschluss mit dem tiefergelegten Golf-II im Alpha-Industries Kapuzenpulli und bereits stark alkoholisiert vor der örtlichen (doitschen!) Gaststätte vorfahren um dort Djschackeline, Schantall, Mähndie oder Rommie den arschbeweihten Hintern zu betatschen. Aber das ist selbstverständlich nur mein ganz persönliches und vollkommen überspitztes Vorurteil. Stimmt wahrscheinlich auch gar nicht.)

Natürlich gilt es, die Toten zu respektieren und keinen Unfug mit Leichenteilen anzustellen. Ich will die Beteiligten auch keinesfalls in Schutz nehmen.

Aber wenn ich meinen von einem mitleidigen Kopfschütteln begleiteten Blick von den jungen und sicherlich intellektuell ziemlich geforderten Bürgern in Uniform abwende, dann glaube ich, dass wir verdammt nochmal andere Sorgen haben … angefangen in diesem Zusammenhang vielleicht mal damit, dass wir überhaupt über 2.000 Soldaten nach Afghanistan schicken. Eine Liste mit anderen Problemen in der deutschen Politik werde ich hier vorsichtshalber gar nicht erst anfangen.

(Was gibt’s eigentlich Neues von der kürzlich entdeckten Unterschicht? Ja, komisch, hab’ ich auch nichts mehr von gehört. Oder den neuerdings mitregierenden Nazis in Mecklenburg-Vorpommern?)

Also: Der erste Politiker, der sich vor die Kameras stellt und sagt: “Ja, das war nicht in Ordnung von den Soldaten, sie kriegen ‘ne Strafe. So. Und nun zu den wichtigen Themen.” kriegt meine Stimme.

6 thoughts to “Da platzt mir der Schädel!”

  1. Ja, den Eindruck könnte man wirklich bekommen. Wer nur Teile der Nachrichten verfolgt kann leicht denken, dort hätten sadistische Brutalo-Soldaten ihren hilflosen Opfern die Köpfe abgetrennt, diese dann enthäutet, ausgekocht und anschliessend mit ‘ner Schuhbürste poliert um danach damit zu spielen.

    Tatsächlich liest es sich auf Spiegel online aber anders:

    Er [der Zeuge] betonte, dass der 2003 von den Soldaten geschändete Schädel nicht von einem Friedhof stamme. Vielmehr müsse man sich das Gelände vorstellen “wie ein große Kiesgrube”. Dort hätten Einheimische Lehm für Ziegel abgegraben. “Es war kein Friedhof, keine Kultstätte”, sagte der Zeuge.

    Vermutlich seien dort während Kriegszeiten “Unmengen an Leichen abgelagert” worden. Zwar habe es keinen Gruppenzwang zum Schänden der Gebeine gegeben. Wer aber nicht mitgemacht habe, habe als “Weichei” gegolten, sagte der Zeuge weiter.

    (Spiegel Online vom 27.10.2006)

  2. Ein in Muttersprache verfasster Artikel auf dieser Seite. Unglaublich.

    o/

    Ich bin dafür, dass in allen Streitkräften dieses Planeten nur noch Menschen eine Waffe bekommen, die nachweislich einen IQ über 130 und mindestens einen Doktortitel vorzuweisen haben. Alle anderen bekommen zur Verteidigung lediglich ein Daunenkissen. Das würde eine ganze Menge Probleme lösen. Intelligente UND gebildete Menschen sind zwar nicht automatisch die besseren Soldaten, aber zumindest gibt es von diesen hinreichend wenige und wenn sie Scheisse bauen, dann können sie sich zumindest nicht hinstellen und sich mit Defiziten in Intelligenz und/oder Bildung rausreden.

  3. Hey, HanZ:

    Ich bin dafür, dass in allen Streitkräften dieses Planeten nur noch Menschen eine Waffe bekommen, die nachweislich einen IQ über 130 und mindestens einen Doktortitel vorzuweisen haben. Alle anderen bekommen zur Verteidigung lediglich ein Daunenkissen. Das würde eine ganze Menge Probleme lösen.

    Stimmt. Wir könnten die Waffenproduktion komplett einstellen. *fg*

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